Märchenräume

zurück Märchenräume 22. November bis 18. Januar 2014 Ana Kapor
Märchenräume

Die nunmehr dritte Einzelausstellung der serbisch-italienischen Künstlerin Ana Kapor bei Nathalia Laue | Galerie & Edition in Frankfurt am Main trägt den Titel „Märchenräume“. Gezeigt werden neue Arbeiten in Öl auf Leinwand oder Holz, welche die Malerin bevorzugt als zwei- oder mehrteilige Arbeiten gestaltet. Zudem sind erstmals Illustrationen der Künstlerin zu sehen und ein vollständiges Alphabet bezaubernder Schmuckinitialen zum Kunstmärchen „Der selbstsüchtige Riese“ von Oscar Wilde. Diese Arbeiten auf Papier bilden, gemeinsam mit der dazugehörigen Publikation, den Höhepunkt der Ausstellung „Märchenräume“.

Ana Kapor wurde 1964 in Belgrad geboren. Dort wuchs sie auf, inmitten der faszinierenden Atmosphäre einer Stadt, in der die mitteleuropäische Kultur mit morgenländischer Tradition verschmilzt. Die heißen Sommermonate verbrachte sie bei den Großeltern in Dubrovnik, wo sie eingefangen wurde vom Geist der Antike, von byzantinischer und venezianischer Kunst und Kultur. Außerdem bereiste sie mit ihrer Familie beinahe jeden Winkel des alten Europas, besuchte Museen und Pinakotheken, architektonische und archäologische Sehenswürdigkeiten.

So war Ana Kapor, als sie 1983 nach Rom aufbrach, um sich dort an der Accademia di Belle Arti einzuschreiben, bereits aufs Innigste vertraut mit der europäischen Kunst. Dabei war sie aber nicht minder neugierig und begierig danach, zu erkunden, wie ihre großen Vorbilder, die Maler der italienischen Frührenaissance, Piero della Francesca oder Perugino, gearbeitet hatten. Ana Kapor wollte erfahren, wie es diesen Künstlern gelungen war, die ästhetischen Rätsel der sichtbaren Welt in Malerei auszudrücken. Die junge Künstlerin erlernte also die Techniken, mit denen diese großen Meister ihre Malgründe vorbereiteten, wie sie Farben anmischten und in einer Weise einsetzten, die ihre Kunstwerke bis heute modern erscheinen lassen.

Seit Jahrhunderten ist die Wahrnehmung des Lichtes eines der grundlegenden Rätsel der sichtbaren Welt und seine Darstellung damit eine wesentliche Aufgabe der Kunst. Auch Ana Kapors Schaffen wird beflügelt von dem Wunsch, das Licht einzufangen. Denn mit seinem kaum greifbaren Wesen bestimmt es die Essenz des Bildgegenstandes und damit das Bild selbst. Für Ana Kapor beinhaltet die Beziehung zwischen Licht und Schatten sogar das eigentliche Mysterium der Malerei und dieses zu entschlüsseln bedeutet, die eigene Sprache zu entwickeln und einen Weg zu finden, diese dem Betrachter zu vermitteln.

Ana Kapor versteht es, mit verzaubernder Selbstverständlichkeit, die Darstellungsweise der Renaissancemalerei in den Mittelpunkt ihres Schaffens zu stellen. Was die Renaissance im Hintergrund malte, rückt Ana Kapor in den Vordergrund und gestaltet aus dieser Umkehrung faszinierende Bildmotive. So spielen die feinmalerischen, rhythmisch komponierten Landschaftshintergründe auf den Tafelbildern und Fresken der italienischen Renaissancemeister für das Schaffen von Ana Kapor eine bedeutende Rolle. Die verhalten zarte Farbigkeit von Hügeln und Himmel, das feine Blattwerk der schlanken Bäume, die wunderbare Ausgewogenheit der Architektur – all diese Aspekte fügt Ana Kapor in ihrer Malerei auf ganz eigene Weise zu wunderbaren Bildkompositionen zusammen. Mit Hilfe einer ebenso präzisen, wie enigmatischen Bildsprache lenkt sie scheinbar reale Landschafts- und Architekturräume an eine Schnittstelle zwischen Realität und Traum und verleiht damit einer metaphysisch anmutenden Weltsicht einen Ausdruck von höchster Schönheit.

Mit den Bildern zu Oscar Wildes Märchen „Der eigensüchtige Riese“ schuf Ana Kapor zwischen 2010 und 2013 erstmals Illustrationen zu einem literarischen Werk. Ihre bezaubernde Interpretation des Märchenstoffes zeigt sie ganz unverkennbar als die Malerin magischer Orte, als die sie bekannt ist, und deckt gleichsam eine fast vergessene Seite der Künstlerin auf – die Figurenmalerin.

Zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn war die menschliche Gestalt durchaus ein wesentlicher Aspekt ihrer Bilder. Mit den Jahren jedoch spielten Figuren eine immer marginalere Rolle, bis sie schließlich zu bloßen Größeneinheiten vor den Gebäuden schrumpften und schließlich ganz verschwanden. Seit Jahren nun sind die Landschaften von Ana Kapor entvölkerte Orte. In einer Welt der perfekten Geometrie schien ihr die Figur überflüssig geworden zu sein. Mit der Zeit aber dachte Ana Kapor immer häufiger darüber nach, die menschliche Figur wieder in ihre Bildräume eintreten zu lassen – und schließlich, als sie dem Märchen vom eigensüchtigen Riesen und seinem wunderbaren Garten begegnete, trat sie wieder auf - die Figur. Als habe sie all die Jahre hinter den Mauern der architektonisch perfekten Gärten Ana Kapors gewartet, um nun mit größter Unbefangenheit den Bildraum zu betreten.

Das Märchen um den eigensüchtigen Riesen hat zum Thema und gleichsam zur Bühne eines der für Ana Kapors Schaffen entscheidenden Bildthemen – den Garten. Verwunschene Gartenwelten sind ein fester Bestandteil des motivischen Repertoires der Malerin.

Die Gartenhistorikerin Monique Mosser bezeichnete den Garten einmal als „einen Ort des Geheimnisses, das sich demjenigen enthüllt, der es zu schätzen weiß.“[1] Diese Formulierung lässt sich gleichermaßen auf die Bilder Ana Kapors beziehen wie auf das Märchen von Oscar Wilde.

Ana Kapor suggeriert mit ihren Gemälden und Papierarbeiten eine geheimnisvolle, beinahe verzauberte Atmosphäre. Zarte, reduzierte Farbtöne, die sich mit der unsichtbaren Luft vermischen, kennzeichnen einen Märchenraum, in dem das Imaginäre ungehindert fließen kann. Es scheint, als erblicke man die Auflösung des Rätsels dieses einfühlsamen Märchens in den Bildern von Ana Kapor, in den Wipfeln der Bäume hinter der Mauer, auf der stillen Wasseroberfläche des Sees, in den ephemeren Wolkenformationen über der Landschaft und in den ins Spiel vertieften Kindergestalten. Doch verschwindet nie der Eindruck, dass ein einziger Windhauch, nur eine Wolke mehr am Himmel genüge, um des Rätsels Enthüllung zu verwehen. So sprechen die Bilder Ana Kapors, die beinahe alle von heiterer Farbgebung und frühlingshafter Stimmung geprägt sind – auf eigne, zart poetische Weise von der Vergänglichkeit alles Irdischen.

 

 

[1] Monique Mosser, Georges Teyssot (Hrsg.), Die Gartenkunst des Abendlandes. Von der Renaissance bis zur Gegenwart, Stuttgart 1993, S. 7.